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Eine kritische Würdigung der EU-Gesetzgebung

B2B-Newsletter > NL 4/25
Dr. Johannes Neumayer: EU-Gesetze mit hohen Strafen und das Legalitätsprinzip
... eine kritische Würdigung der EU-Gesetzgebung!

 
Viele neue Normen (wie AI Act, Fm-GwG, DORA), mit denen insbesondere die überregulierte Finanzbranche „ beglückt“ wurde und laufend wird, entstammen der Feder des EU-Gesetzgebers und haben bei allem Verständnis für das menschliche Bedürfnis der Gefahrenabwehr folgendes Schema:
 
1.      Identifiziere alle potentiellen Gefahren
2.      Entwerfe einen „ tauglichen" Plan zur Gefahrenabwehr
3.      Dokumentiere alle Vorgänge
4.      Strukturiere für jeden denkbaren Notfall Pläne
5.      Schule alle Mitarbeiter und Erfüllungsgehilfen
 
Sonst drohen hohe Geldstrafen zwischen 5 und 10 % des Jahresumsatzes (im AI act 7%) und letztlich ein ewiges Berufsverbot für die Leitungsorgane beaufsichtigter Unternehmen.
 
Problem ist das „softlaw“, also die nicht nach Art. 18 und Art. 139 B-VG prüfbaren verordnungsgleichen Positionspapiere der quasi authentischen Selbstinterpretation der Vollzugsbehörden, die zu einer de facto rückwirkenden Normsetzung durch Interpretation der zahllosen unbestimmten Gesetzesbegriffe führen, aber vom entnervten hilfesuchenden Normadressaten gerne gesehen bzw. gelesen werden, weil diese de facto die einzige Richtschnur bilden, solange nicht die Judikatur nach Jahren in den Fällen der glücklos strafrechtlich Verfolgten den blühend wuchernden Normen und deren extensiven Interpretationen ihre Grenzen aufzeigt (siehe EuGH 14. Juni 2017 Rechtssache C 678/15).
 
Was tut der Einzelunternehmer, der sich keine Armada von administrativen Mitarbeitern und juristischen Koryphäen leisten kann? Bei der Bekämpfung von Hackerangriffen nach der DORA Verordnung wird offenbar aus Angst vor der Grundrechtswidrigkeit eine völlig unbestimmte Klausel eingeführt, die da lautet  :
 
(1)     Die Finanzunternehmen wenden die in Kapitel II festgelegten Vorschriften im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an, wobei ihrer Größe und ihrem Gesamtrisikoprofil sowie der Art, dem Umfang und der Komplexität ihrer Dienstleistungen, Tätigkeiten und Geschäfte Rechnung zu tragen ist.
 
"Verhältnis" ist ein sprachlicher Operandus für eine Division. Für die Erkenntnis, dass  A/B mit zwei unbekannten Variablen, auch wenn B ungleich Null sein sollte, nicht lösbar ist, und daher die Norm völlig unbestimmt ist, muss man kein Jurist sein, sondern nur die Grundrechnungsarten beherrschen.
 
Gleich nach  Art 4 der Verordnung liest man in Art 5  betrübt :
 
(1)     Finanzunternehmen verfügen über einen internen Governance- und Kontrollrahmen, der im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 ein wirksames und umsichtiges Management von IKT-Risiken gewährleistet, um ein hohes Niveau an digitaler operationaler Resilienz zu erreichen.
 
Die zahlreichen Berichte über Hackerangriffe auf Regierungsseiten und Datenverluste bei führenden IT-Unternehmen lassen erahnen, dass die verordnete völlige Gefahrenabwehr auf „hohem Niveau“ eine Utopie ist (siehe unbedingt dazu den wunderbaren Artikel von Piska/Seeber "Der AI Act als rechtliches Pulverfass", ecoclex2025/123 und Rumler-Korinek/Vanes in GRC Kommentar² Art 52 RZ 29).
 
Der durch Hans Kelsen und Art 18 B-VG verwöhnte Österreicher denkt sofort, darf das denn sein? Noch dazu, wenn nach §§ 5 und 15 VStG, bei sogenanntenn Ungehorsamsdelikten der Beschuldigte, um straffrei zu bleiben, den Beweis zu erbringen hat, dass ihm die Einhaltung der betreffenden Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen sei (VwGH 2009/07/0211, 22.12.2011)? Dazu Piska/Seeber "Der AI Act als rechtliches Pulverfass", ecoclex2025/123:
 
„Die EU produziert am laufenden Band Rechtsakte, die von Unbestimmtheit und überbordender Überregulierung nur so strotzen“.
 
Art 49 GRC und Art 7 EMRK müssten doch in Österreich und der EU auch ohne Art 18 B-VG als Grundrechte gelten!
 
Art 49 lautet ähnlich § 1 StGB:
Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war.² Es darf auch keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden.
Zum Anwendungsbereich auf Unionsrecht siehe Höpfel in WK² §1 STGB Rn 4, der Stand Oktober 2022 die Problematik der Bestimmtheit von unionsrechtlichen Strafvorschriften aufzeigt (aaO Rn 37) und ausführt „aus mehreren Gründe stellt sich die Bestimmtheit von Strafvorschriften oft als problematisch dar. Einerseits bleiben EG -Verordnungen selbst als Verwaltungsbestimmungen vielfach unbestimmt… „
  
Was normiert indes Art 7 EMRK durch “keine Strafe ohne Gesetz“?
 
Diese Grundrechtsnorm enthält im Rahmen des strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips
 
1. ein Bestimmtheitsgebot (lex certa)
2. das Verbot extensiver Auslegung
3. das Rückwirkungsverbot
4. das Verbot rückwirkender Strafverschärfung
(Meyer-Ladewig / Harrendorf/König EMRK4 Art 7 Rz 5 302, EGMR 17.12.2009 19359/04).
 
Das Bestimmtheitsgebot enthält qualitative Anforderungen an die strafbewehrten Verbotsnormen. Der Betroffene muss aus dem Wortlaut der Vorschrift, notfalls mithilfe der Auslegung durch die Rechtsprechung erkennen können, welche Handlungen und Unterlassungen ihn strafrechtlich verantwortlich machen (Meyer-Ladewig / Harrendorf/König aaO, Art 7 Rz 15 311; EGMR 12.2.2008 21906/04 Kafkaris/Zypern, EGMR 25.3. 1993 -14 307/88 Kokkiniakis /Griechenland).
 
Zu Art 18 B-VG treffe nach Mayer (B-VG4 Art 18 II.1. 136) den Gesetzgeber das Gebot ausreichend bestimmte Regelungen zu treffen.
 
Unter dem Bestimmtheitsgrundsatz im österreichischen Strafrecht wird verstanden, dass es keine Strafe ohne Gesetz (nullum crimen, nulla poena sine lege) geben darf. Die Strafbarkeit einer Tat muss klar gesetzlich bestimmt sein.[2] Lücken dürfen nicht zum Nachteil eines Angeklagten ausgelegt werden, ansonsten liegt unter Umständen z. B. ein Verstoß nach Art 7 EMRK vor (Keine Strafe ohne Gesetz). Ebenso dürfen Strafgesetze nur sehr eingeschränkt zurück wirken (Rückwirkungsverbot). Art 49 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) normiert ebenfalls diese Grundsätze.
 
Gesetzlichen Vorschriften müssen somit folgende Kriterien erfüllen:

·         sie müssen erkennen lassen, welche konkreten Handlungen strafbar sind (Klarheitsgebot).[4]
·         das Gesetz muss auch zugänglich sein (Zugänglichkeitsgebot, Publikationspflicht), und
·         den Normunterworfenen darin eine klare Vorstellung darüber geben, welche Folgen mit einem bestimmten Tun verbunden sind (Vorhersehbarkeitsgebot).
 
Die Verwendung von gesetzlichen Vermutungen und unbestimmter Rechtsbegriffe ist nicht grundsätzlich dadurch ausgeschlossen, es muss aber eine eindeutige Zuordnung zu einer konkreten Bestimmung möglich sein.
 
Bevor das angsterfüllte oberste Leitungsorgan als häufiger nicht durch Delegierungen nach Art 9 VStG entlastbarer Adressat dieser Strafnormen sich zu früh freut, sei drauf verwiesen, dass zurecht Piska/Seeber "Der AI Act als rechtliches Pulverfass", ecoclex2025/123 eine Schwäche des europäischen Rechtschutzes bezüglich primärrechtswidriger Bestimmungen aufzeigen.
  
Würde die StVO lauten:
 
„Alle Halter eines KFZs haben die Gefahren im Straßenverkehr zu identifizieren und einen tauglichen Plan zu deren Hintanhaltung aufzustellen und KFZ nur Personen zu überlassen, von denen sie sich überzeugt haben, dass diese aufgrund deren Charakter  und Ausbildung zu einem Gefahren“mangement“ auf hohem Standard im Straßenverkehr imstande sind“, mit der Folge einer Verwaltungsstrafe bis zu 10 % des Wertes des verwendeten KFZ, würden wenige zögern, diese Norm als überzogen, unsachlich und grundrechtswidrig anzusehen.
 
Ich hoffe, dass größere Kaliber als ich ,Pensionist' es bin, auf dieses Thema eingehen. Bis zu einer Grundsatzentscheidung eines Höchstgerichtes bliebe nur noch ,Blumen auf das Grab Hans Kelsens zu legen', was angesichts seiner Aschebestattung im Pazifik ebenso schwer sein wird, wie die gänzliche Unzulässigkeit der neusten „modernen“ Gesetzesmethoden  der EU höchstgerichtlich in naher Zukunft durchzusetzen.

Ihr Johannes Neumayer  


MMag. Dr. Johannes Neumayer e.h.

emeritierter Partner der Kanzlei Neumayer & Walter Rechtsanwälte
A-1030 Wien, Baumannstraße 9/11
Telefon: 0043/1/712 84 79
e-mail: johannesneum@gmail.com
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