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Dr. Neumayer analysiert das EuGH-Urteil zum Kündigungsrecht bei fehlender Belehrung

B2B-Newsletter > 2020 - Archiv > NL 1/20
EuGH sprach Machtwort bei Rücktrittsrechten zu Lebensversicherungen
Prämien wieder retour!

Knapp vor Weihnachten hat nun der Europäische Gerichtshof zu diesem Thema entschieden.
Wir haben Dr. Johannes Neumayer von der Kanzlei Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte um seine Einschätzung gebeten.

Unten anbei erfahren Sie
  • Details zum Urteil.
  • Ob nun wieder das "alte Kündigungsrecht" bei unterlassender Rücktrittsbelehrung auflebt und falls Ja, zu welchen Bedingungen.
  • Ob das auch noch - wieder - für Altverträge gilt.
  • Was das für die Provision der schuldlosen Vermittler bedeutet und ob es da Unterschiede zwischen Agenten und Makler gibt?
  • Gilt bald das "gleiche Schicksal" für Fonds, geschlossene Immofonds?
  • Kommt KSchG zur Anwendung, wenn Verbraucher den Vermittler in die Wohnung eingeladen hat?

In den letzten Jahren brachten wir mehrere Male Beiträge zum Thema Rücktritt bei Lebensversicherungen bei falscher Rücktrittsbelehrung.
Ein Auszug:

Dr. Haslinger:
Später Rücktritt doch noch möglich? Hier zum Nachlesen...
Dr. Neumayer: Neues vom ewigen Kündigungsrecht. Hier zum Nachlesen...
Dr. Nowak: Rücktrittsnovelle: Milliardengrab für Konsumenten. Hier zum Nachlesen...
Dr. Haslinger: Regierung will Rücktrittsrecht aushebeln. Hier zum Nachlesen...
Dr. Nowak: Rücktrittsrecht soll stark eingeschränkt und unattraktiv gemacht werden. Hier zum Nachlesen...
Dr. Neumayer: LV-Rücktritt: Ein Geschenk vor der Wahl?. Hier zum Nachlesen...
Dr. Haslinger: LV-Rücktritt eilt. Haftung der Vermittler? Hier zum Nachlesen...



Hier folgt nun die Analyse von Dr. Johannes Neumayer:

Vor Weihnachten hat der EuGH nicht ganz unerwartet die Gefälligkeitsnovelle zum § 176 VersVG für unzulässig erklärt, mit der von der Lebensversicherung
mangels (korrekter) Rücktrittsrechtsbelehrung zurücktretende Verbraucher, nicht wie bis zur Novelle des § 176 VersVG (Rücktritt vor 2019) seine Prämien plus Zinsen retour erhält, sondern den niedrigen Rückkaufswert, womit dieses praktisch völlig entwertet wurde. Klargestellt wurde vom lobbyresistenten EuGH nunmehr ua:

Es gibt ein ewiges Rücktrittsrecht bis zur korrekten Belehrung:
Der EuGH unterscheidet nicht, woher oder über wen der Versicherungsnehmer falsch belehrt wurde. Wurde er nicht gesetzmäßig über sein Rücktrittsrecht belehrt, bleibt ihm zwingend ein ewiges Rücktrittsrecht erhalten.

Rücktritt auch bei beendeten oder ausgelaufenen Verträgen:
Der EuGH wendet das ewige Rücktrittsrecht auch bei vollbeendeten Verträgen an. Man kann daher auch zurücktreten, wenn dieser bereits ausgelaufen ist: egal ob erfüllt (ausbezahlt) oder vorzeitig gekündigt wurde.

Keine Lex Löger: Prämien verzinst retour:
Der EuGH hat dem österreichischen Gesetzgeber untersagt, zu bestimmen (§ 176 VersVG) , wonach der Versicherungsnehmer (VN) auch bei fehlender oder mangelnder Belehrung nur den Rückkaufswert (und nicht die verzinsten Prämien minus etwaige Ablebensprämien) erhält.

Rücktritt bei falscher Belehrung in Form eines schriftlichen Rücktritts
?
Bedingungen enthielten häufig gesetzwidrig die Klausel, dass VN ihren Rücktritt per Brief einreichen müssen. Der EuGH hat diese Frage nicht entschieden, womit der OGH am Zug ist. Die Vorinstanzen hatten die Klagen wegen der Schriftlichkeitsgebote in den Belehrungen aber abgewiesen, sodass ich nicht erwarte, dass daraus Rücktrittsrechte ableitbar sind.

Wie wird die Rückforderung verzinst?
Ob der österreichische Gesetzgeber festlegen darf, dass nach Rücktritt nur drei Jahre Zinsen zu zahlen sind, schränkte der EuGH ein, sodass nur unter gewissen Umständen die Verjährung der Zinsen drei Jahre betragen darf. Da bleibt noch erhebliche Unsicherheit; wir Anwälte sind gefordert.
Eine Rücktrittsbelehrung ist somit nicht per se fehlerhaft, weil die Versicherer fordern, dass Rücktrittserklärungen schriftlich eingereicht werden sollten.

Rücktritt sinnvoll?
Angesichts des Risikos bei Zinsenlauf ist ein Rücktritt nur dann sinnvoll, wenn massive Verluste eintraten, weil der Vertrag mit Spesen überfrachtet war oder der Deckungsstock Verluste gemacht hat.

Achtung bei aller Freude
: Der OGH hat entschieden:
· Auch die Rücktrittsrechtsbelehrung im Antrag ist ausreichend ( OGH 7Ob78/19z)
· Die (4%ige) Versicherungssteuer ist kein rückzuforderndes Entgelt (OGH 7Ob211/18g)
· § 165a VersVG idF BGBl Nr 90/1993 sah vor, dass - bis 31.12.1996 - das Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers nur für den Fall besteht, dass der Vertrag durch eine nicht in Österreich gelegene Niederlassung geschlossen wird. Dies ist nicht analog auf Inlandsverträge vor 1997 auszuweiten (OGH 7Ob241/18v).

Was ist mit dem schuldlosen Vermittler?
Angesichts der falschen Belehrung des Versicherers war und ist die Regelung in § 176 VersVG, dass der Vermittler nur aliquoten Anspruch auf Provision im Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) hat, geradezu gemein. Der Agent hätte als Handelsvertreter zwingend nach § 9 Abs.3 HVertrG Anspruch auf Provision, auch wenn die Ausführung des vermittelten Geschäftes aus einem in der Sphäre des Versicherers liegenden Grund (Fehler der Rechtsabteilung in den Formularen des Versicherers) unterblieb. Hier wäre es spannend, den EuGH anzurufen, weil in Art 11 der HandelsvertreterRL klar und zwingend steht:
Der Anspruch auf Provision erlischt nur, wenn und soweit feststeht, dass der Vertrag zwischen dem Dritten und dem Unternehmer nicht ausgeführt wird, und die Nichtausführung nicht auf Umständen beruht, die vom Unternehmer zu vertreten sind.
Es muss sich der Agent (Makler sind vom HVertrG nicht betroffen) den Storno aus Rücktritten wegen Fehler in den Belehrungen somit nicht unbedingt kampflos bieten lassen.

Schöne Weihnachten und ein erfolgreiches Jahr 2020!
Ihr Johannes Neumayer

PS1: Ein ähnliches Schicksal bei Fonds?
Während die Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG auf jedem Zettel klebt, wird oft das besonderer Rücktrittsrecht nach dem § 70 Abs 2 WAG 2018 (bereits im WAG 2007 normiert ) vergessen :
Ist die Vertragserklärung eines Verbrauchers auf den Erwerb
1. einer Veranlagung im Sinne des §1 Abs.1 Z3 KMG2019 oder
2. von Anteilen an in- oder ausländischen Kapitalanlagefonds, in- oder ausländischen Immobilienfonds oder ähnlichen Einrichtungen, die Vermögenswerte mit Risikostreuung zusammenfassen,
gerichtet, kommt §3 KSchG unbeschadet einer Anbahnung der geschäftlichen Verbindung zwecks Schließung dieses Vertrags durch den Verbraucher zur Anwendung.

Hat der Verbraucher den Vermittler zu sich eingeladen, darf er wenn keine Belehrung auch für diesen Fall (nach dem KSchG wäre der Rücktritt ja ausgeschlossen) erfolgte bei offenen und geschlossenen Fonds zurücktreten. Wurde er für diesem Fall nicht belehrt, dann wird wohl ein Rücktrittsrecht bestehen. (Bitte dokumentieren Sie die Einladung des Kunden, ihn zu besuchen!). Auch hier wäre es möglich, sich der verlustreichen Anlage zu entledigen.
Dies gilt auch für Beteiligungen nach § 1 Abs1 Z 3 KMG, also zB KG Beteiligungen, die an sich vom WAG nicht umfasst sind, weil kein Wertpapier und kein Finanzinstrument.

PS2: Geschlossene Immofonds:
Das – unbefristete - Rücktrittsrecht mangels Übersendung nach § 14 KMG bei Immobilienveranlagungen (zB „Hollandfonds“) gilt nach EuGH auch bei Auslandsemissionen mit Vertrieb in Österreich! (EuGH 3.10.2019. C-272/18 VKI/TVP)

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Ihr MMag. Dr. Johannes Neumayer e.h.
Kanzlei Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte
 

Für Rückfragen stehen wir Ihnen in unserer Kanzlei gerne zur Verfügung:
Baumannstraße 9/11, 1030 Wien, rechtsanwalt@neumayer-walter.at, Tel 01/712 84 79, www.nwhp.at

Fotos beigestellt

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